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Ich bin Peter (Name geändert), 48 Jahre alt. Nach wochenlangen Schlafproblemen und Depressionen bin ich im Dezember 2010 mit einem Burnout zusammen gebrochen. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, die Gedächtnisleistung war desolat und meine Belastbarkeit massiv eingeschränkt resp. zunächst gar nicht gegeben.
Für mich erschreckend war, dass ich trotz 2 Psychotherapien (Ende der 90er Jahre eine Verhaltenstherapie und von Ende 2007 bis März 2010 eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie) nicht rechtzeitig gegensteuern/den Zusammenbruch verhindern konnte. Ich wollte daher etwas anderes machen, als nach den ersten beiden nicht so massiven Zusammenbrüchen, die Auslöser o.g. Therapien waren.
Die vorgenannten Therapien hatten mein Selbstverständnis gefördert und geweitet, was mir fehlte waren soziale Kontakte/Freunde, mit denen ich über meine Depressionen etc. reden konnte. Ich lebe zwar nach außen nicht isoliert – seit knapp 16 Jahren in einer festen Beziehung und ein gemeinsamer Freundeskreis ist auch vorhanden – konnte aber außer mit meinem besten Freund (Ausführungen zum Partner s.u.) über meinen Zustand, meine Depressionen und Ängste mit niemandem reden, d.h. war in meinem sozialen Umfeld mit meinem Problem weitgehend isoliert. Der vorgenannte Freund zeigt großes Verständnis und ich bin sehr froh, dass er mir zur Seite steht, er kennt die Probleme aber nicht aus eigener Erfahrung.
Um diesen Zustand zu ändern suchte ich eine Selbsthilfegruppe. Diese sollte aus schwulen Männern bestehen, da ich in meinem Zustand keinesfalls auch noch meine sexuelle Orientierung in einer Selbsthilfegruppe rechtfertigen wollte. Über KISS stieß ich dann auf diese Gruppe, in der ich mich sofort angenommen gefühlt habe.
Oft freue ich mich schon viele Tage vorher auf das nächste Treffen resp. sehne dieses aufgrund meiner Verfassung herbei. Hinterher ging es mir bis jetzt immer deutlich besser. Über die reinen Gruppentreffen hinaus haben sich aus dem Teilnehmerkreis heraus auch bilaterale Kontakte ergeben und Freundschaften entwickelt. Ich konnte mir ein eigenes soziales Umfeld aufbauen. Hierdurch wurde es mir erstmalig möglich mich der Frage nach Qualität meiner Beziehung zustellen.
Zunächst hatte ich angenommen, der Burnout wäre alleinige Folge der beruflichen Belastung verbunden mit meinem Hang zum Perfektionismus etc. – auch als Folge meines streng religiösen und sexualfeindlichen Elternhauses. Zunehmend wurde mir bewußt, dass meine Beziehung mir keine Kraft mehr gab sondern an meinen Kräften zehrte, da mein Partner seit einigen Jahren Alkohol im Übermaß konsumiert (best-case: Alkoholmißbrauch, worst-case: Alkoholabhängigkeit). Da die vorherige Partnerschaft am Alkoholismus meines Partner zerbrach sind mir die möglichen/wahrscheinlichen Konsequenzen bewußt und die häuslichen Situation stellt eine große Belastung für mich dar.
Auch hierüber in Gruppe reden zu können resp. Ratschläge zu bekommen, was ich alles tun kann/wo mir Hilfe angeboten wird ist eine riesige Hilfe.
Meine Depressionen sind durch Medikamente gut abgefedert (aber nicht weg).
Seit einigen Wochen bin ich im Wiedereingliederungsprogramm und versuche im Beruf wieder Fuß zu fassen und mich gleichzeitig besser abzugrenzen als vor dem Burnout. Im Privatleben habe ich es mit dem o.g neuen sozialen Umfeld geschafft mich aus der Abhängigkeit von meinem Partner zu lösen und mich autonomer zu verhalten. Ich habe sogar schon die Kraft gefunden ihm zu sagen, dass ich mich von ihm trennen werde, wenn er sein Alkoholproblem nicht in den Griff bekommt.
Mein Leben ist zwar bei weiten nicht problemlos, aber ich habe es geschafft, die Selbstbestimmung über mein Leben zurück zu gewinnen. Ich weiss, wo ich meine Akkus wieder auflagen kann. Und ich bin sehr froh, jetzt viele liebenswerte Männer zu kennen für die Depressionen nicht nur kein Tabu-Thema sind, sondern die aus eigener Erfahrung mitreden können.
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Sehr geehrter Thomas,
mein Name ist M. C. und ich schreibe Ihnen aus Hamburg. Ich bin durch das Magnus-Hirschfeld Centrum auf Ihre Gruppe “Selbsthilfegruppe schwul und depressiv” gestoßen und würde gerne mit Ihnen ein Termin zum Vorgespräch vereinbaren.
Ich habe eine lange Geschichte, die ich Ihnen hier kurz aufführen möchte:
Mit 14 Jahren habe ich entdeckt, dass ich auf Männer stehe, also homosexuell bin. Wie es das Schicksal so wollte, bin ich in einer streng konservativen
italienischen Familie aufgewachsen, wo der Vater das Oberhaupt der Familie darstellt und das Thema der Homosexualität ein Tabu-Thema war.
Ich habe einen älteren Bruder, der mittlerweile zwei Kinder hat und mit seiner Verlobten in einer eigenen Wohnung lebt.
Zuhause hatten meine Eltern die ganze Hoffnung auf mich gesetzt, da mein Bruder nur einen Hauptschulabschluss gemacht und drei Ausbildungen abgebrochen hatte. Ich kam auf ein Gymnasium und erreichte einen guten Durchschnitt für das Fachabitur nach der 12. Klasse.
Da ich genau wusste, dass ein Outing für mich die Todesstrafe bedeuten würde und dass ich damit eine Schandfleck in der Familie sein würde, habe ich seit meinem 14. Lebensjahr ein Doppelleben geführt und immer wieder versucht, mit Frauen eine Beziehung zu führen. Meine Eltern und mein Umfeld hatten nie geahnt, dass ich homosexuell sein könnte, zumal ich immer so getan habe, als ob ich Beziehungen mit Frauen hätte und unzählige Frauen haben würde.
Mit dem Älterwerden wurde das Doppelleben auf Dauer eine extreme Belastung für mich, sodass ich im März 2008, mit 18 Jahren, meinen ersten Selbstmordversuch vollzogen hatte.
Jedoch bin ich nach ein paar Tagen im Krankenhaus wieder aufgewacht, nachdem ich aufgrund einer Tablettenintoxikation ins Koma gefallen war.
Nach weiteren drei Tagen wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen und keiner hatte mein Selbstmordversuch ernst genommen. Es würde „eine Jugendsünde in der Selbstfindungsphase“ sein. Ich habe weder ein Gespräch mit einem Psychologen geführt, noch haben mich meine Eltern ausgefragt. Hauptsache ich nahm stillschweigend die Psychopharmaka ein. Damals waren es Diazepam und Olanzapin. Somit blieb ich mit meinen Gedanken und mit meinen Depressionen alleine.
Ein Jahr später, im September 2009, hatte ich meinen zweiten Selbstmordversuch. Daraufhin wurde ich eine Woche stationär in der Psychiatrie mit Medikamenten vollgepumpt und anschließend entlassen. Wieder fragte mich keiner von den Therapeuten über die wahren Gründe der Selbstmordversuche aus.
Ich blieb mit meinen innerlichen Schmerzen alleine. Keiner verstand wirklich, was los war. Ich musste meine Gefühle zu Männern unterdrücken.
Anfang Oktober 2010 vollzog ich meinen dritten Selbstmordversuch… Ich habe versucht, mit meinem Auto gegen eine Mauer zu fahren. Dieser Versuch missglückte aber, Gott sei Dank!
Nach dem dritten Selbstmordversuch entschloss ich mich, mich freiwillig in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Dort blieb ich insgesamt drei Monate.
Ich hatte dieses Mal Glück im Unglück. Meine Psychologin war ein Engel, sie konnte alle Geheimnisse aus mir herauskitzeln, sogar meine Homosexualität konnte ich ihr offenbaren.
Mit der Zeit habe ich begriffen, dass ich es auch wert bin, zu leben… Mit meiner Homosexualität!
Nach dem Klinikaufenthalt werde ich nun psychotherapeutisch von zwei verschiedenen Ärzten begleitet und bekomme insgesamt 7 verschiedene Tabletten, die mich aufrechterhalten.
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Stärken fördern – Schwächen akzeptieren
Ich ging in einen norwegischen Zoo. Und dort sah ich einen Pinguin auf seinem Felsen stehen. Ich hatte Mitleid: „Musst du auch Smoking tragen? Wo ist eigentlich deine Taille? Und vor allem: hat Gott bei dir die Knie vergessen? Mein Urteil stand fest: Fehlkonstruktion.
Dann sah ich noch einmal durch eine Glasscheibe in das Schwimmbecken der Pinguine. Und da sprang „mein“ Pinguin ins Wasser, schwamm dicht vor mein Gesicht. Wer je Pinguine unter Wasser gesehen hat, dem fällt nix mehr ein. Er war in seinem Element! Ein Pinguin ist zehnmal windschnittiger als ein Porsche! Mit einem Liter Sprit käme der umgerechnet über 2500 km weit! Sie sind hervorragende Schwimmer, Jäger, Wasser-Tänzer! Und ich dachte: „Fehlkonstruktion!“
Diese Begegnung hat mich zwei Dinge gelehrt. Erstens: wie schnell ich oft urteile, und wie ich damit komplett daneben liegen kann. Und zweitens: wie wichtig das Umfeld ist, ob das, was man gut kann, überhaupt zum Tragen kommt.
Wir alle haben unsere Stärken, haben unsere Schwächen. Viele strengen sich ewig an, Macken auszubügeln. Verbessert man seine Schwächen, wird man maximal mittelmäßig. Stärkt man seine Stärken, wird man einzigartig. Und wer nicht so ist, wie die anderen sei getrost: Andere gibt es schon genug!
Immer wieder werde ich gefragt, warum ich das Krankenhaus gegen die Bühne getauscht habe. Meine Stärke und meine Macke ist die Kreativität. Das heißt, nicht alles nach Plan zu machen, zu improvisieren, Dinge immer wieder unerwartet neu zusammen zu fügen. Das ist im Krankenhaus ungünstig. Und ich liebe es, frei zu formulieren, zu dichten, mit Sprache zu spielen. Das ist bei Arztbriefen und Rezepten auch ungünstig. Auf der Bühne nutze ich viel mehr von dem was ich bin, weiß, kann und zu geben habe. Ich habe mehr Spaß, und andere haben mit mir mehr Spaß. Live bin ich in meinem Element, in Flow!
Menschen ändern sich nur selten komplett und grundsätzlich. Wenn du als Pinguin geboren wurdest, machen auch sieben Jahre Psychotherapie aus dir keine Giraffe. Also nicht lange hadern: Bleib als Pinguin nicht in der Steppe. Mach kleine Schritte und finde dein Wasser. Und dann: Spring! Und Schwimm!
Und du wirst wissen, wie es ist, in Deinem Element zu sein.
Dr. med. Eckart von Hirschhausen